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Diagnosen

Antidepressiva

Wenn Sie mit mittelschweren oder schweren depressiven Symptomen zum Arzt gehen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er eine medikamentöse Therapie vorschlägt. Die Einnahme von Antidepressiva gehört aktuell neben der Psychotherapie zu einem wesentlichen Bestandteil des Behandlungskonzepts bei Depressionen, aber auch bei Angst- und Zwangsstörungen, dem Posttraumatischen Belastungssyndrom und bei Schmerzproblematiken. Wie dringlich es erscheint, Medikamente einzunehmen hängt davon ab, wie ausgeprägt die Beschwerden sind. So wird ein selbstmordgefährdeter Patient eher zur Einnahme von Tabletten gedrängt werden als jemand mit einem leichteren Stimmungstief im Herbst. Viele Menschen stehen der Einnahme von Tabletten verständlicherweise kritisch gegenüber. Daher hier einige Informationen, die es leichter machen sollen, dieses Thema mit Ihrem Arzt zu besprechen.

Aktuelle Trends

Während in den Vereinigten Staaten bereits 15 % der Bevölkerung regelmäßig Antidepressiva einnimmt, sind es in Neumünster im Jahr 2012 und 2013 immerhin 10 % der arbeitenden bzw. arbeitslosen Menschen gewesen, Tendenz steigend. Die Verordnungshäufigkeit ist bei uns in den letzten 15 Jahren enorm angestiegen. Der Trend, bei jeglicher depressiv anmutender Symptomatik rasch Antidepressiva zu verordnen, ist dabei kritisch zu bewerten. So moniert Dr. Declan Aherne, Psychotherapeut an der Universität Limerick, dass inzwischen Antidepressiva bei allen Schweregraden von Depressionen verordnet werden. Und dies, obwohl Studien dieses Vorgehen nicht unterstützen und/oder nicht absichern. Auch ist zu bedenken, dass die Wirkkraft solcher Medikamente Placebos (Scheinmedikamente ohne Wirkkraft) im Durchschnitt nur um 10 % überlegen sind, wie neuere Studien nahelegen.

Leitlinie

Die medizinische Leitlinie zu depressiven Erkrankungen (NVL – Nationale Versorgungsleitlinie Depression von 2009) , die sich auf aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse stützt, empfiehlt grundsätzlich folgendes Vorgehen: Bei leichten depressiven Zuständen ist die alleinige Psychotherapie eher die Methode der Wahl. Alternativ ist eine Medikation möglich. Bei mittelschweren depressiven Erscheinungsbildern wird entweder eine Psychotherapie oder eine Pharmakotherapie (medikamentöse Behandlung) empfohlen. Bei schweren depressiven Episoden, bei chronischen depressiven Erkrankungen, bei Doppel- und Mehrfachdiagnosen gilt eine Kombination von Psychotherapie und antidepressiver Medikation als beste Behandlungsmethode. Führen die Behandlungsversuche mit mehreren Medikamenten nicht zu einer Verbesserung, dann sollte der Patient vom Arzt darauf hingewiesen werden, dass eine Psychotherapie sinnvoll erscheint. Eine Studie der KV Bayern aus dem Jahr 2007 weist allerdings nach, dass die Regeln der Leitlinie 2007 – genauso wie vermutlich auch heute – nicht angemessen umgesetzt werden und zu wenig Patienten die empfohlene Behandlung erhalten.

Wirkung

Antidepressiva verursachen keine rauschartige Wirkung und sie machen nicht abhängig. Bei schweren Depressionen können Antidepressiva helfen, sinnvoll an den psychotherapeutischen Gesprächen teilzunehmen. Die Symptomatik wird von den Medikamenten so abgemildert, dass sich die Ansprechbarkeit erhöht. So kann wieder mit den für die Therapie nötigen Gefühlen auf die besprochenen Themen reagiert werden. Aber Antidepressiva sind Medikamente mit Wirkungen und auch mit Nebenwirkungen. Über diese sollte man sich vom Arzt auf jeden Fall aufklären lassen. Hätten die Medikamente nicht wissenschaftlich nachgewiesene Wirkungen, würden Sie von den Kassen auch nicht bezahlt.

Entscheidet man sich für die Einnahme eines Antidepressivums, dann muss man in der Regel mit etwas Geduld auf die Wirkung warten. Nach zwei Wochen sollte es zu einer mindestens leichten Verbesserung kommen, nach vier Wochen regelmäßiger und zuverlässiger Einnahme ist mit einer wesentlichen Verbesserung zu rechnen. Es kann trotz sorgsamer Verordnung immer vorkommen, dass nicht die erwünschten Effekte eintreten. Oder dass die Nebenwirkungen zu stark sind. Dann erscheint ein Versuch mit einem anderen Präparat sinnvoll. Studien belegen, dass ca. 50 -75 % der Patienten positiv auf die eingenommenen Antidepressiva reagieren.

Test zur Wirksamkeit

Neuere Studien deuten darauf hin, dass genetische Faktoren dafür verantwortlich sind, wie gut die eingenommenen Medikamente den Weg vom normalen Blutkreislauf ins Gehirn schaffen, wo sie dann wirken sollen. Denn der Weg vom normalen Blutkreislauf ins Gehirn wird blockiert durch die Blut-Hirn-Schranke. Diese ist bei Menschen abhängig von den Genen unterschiedlich leicht passierbar. Es sind daher in den letzten Jahren Tests entwickelt worden, die Hinweise darauf geben, wie wahrscheinlich ein Antidepressivum helfen kann.

Rückfallrisiko

Leider haben Patienten, die eine depressive Episode überstanden haben ein fast fünfzigprozentiges Risiko eines Rückfalls. Aus diesem Grunde wird eine Fortführung der Medikamenteneinnahme auch nach Abklingen der wesentlichen Krankheitssymptome unbedingt empfohlen. Es wird geraten, die Medikamente über sechs bis zwölf Monate, bei wiederholtem Auftreten von depressiven Episoden sogar über Jahre, manchmal lebenslang einzunehmen. Absetzen sollte man die Medikation in der Regel nur langsam, „ausschleichend“ und nur unter ärztlicher Anleitung, da beim falschen Absetzen mit teilweise erheblichen Beschwerden zu rechnen ist.

Erleben

Patienten erleben die Medikamentenwirkung sehr unterschiedlich. Bei einigen Menschen klingen die wesentlichen Krankheitsanzeichen ab oder es stellt sich zumindest eine Verbesserung ein. Andere klagen, dass es ihnen nicht geholfen hat oder dass die Nebenwirkungen überwogen. Wiederum andere merken eine Verbesserung, die aber alleine nicht ausreicht, um auch nur ansatzweise zum alten Lebensgefühl zurück zu gelangen. Bei sehr hoher Dosierung kann es zu dem Gefühl kommen, nicht mehr ganz wach und aufmerksam zu sein. Dies wird in der Regel als recht unangenehm empfunden und ist Anlass für eine Überprüfung der Dosierung. Da fast alle Menschen die Medikamente nicht unbedingt lebenslang einnehmen möchten und die Medikamente keine dauerhaften Veränderungen im Verhalten und der Gefühlslage bewirken, ist es für Betroffene hilfreich, darüber nachdenken, weshalb er oder sie überhaupt in diese Problemlage gekommen ist und was sich dauerhaft ändern sollte, damit es ihm oder ihr langfristig wieder gut gehen kann.

Psychopharmaka werden meist vom Psychiater oder vom Hausarzt verordnet. Wir sind Psychologinnen und verordnen daher keine Medikamente.

Bild von Tabletten, symbolische Abbildung

Wirkstoffgruppen und Medikamente

Dieser Abschnitt bezieht sich auf die Wirkmechanismen der Medikamente und ist demzufolge recht theoretisch.

Es gibt im menschlichen Körper eine große Zahl von Botenstoffen, auch Transmitter genannt, die uns Menschen in unserem Handeln, Denken und Fühlen beeinflussen. Die antidessiven Medikamente setzen dort an, wo sich das Gehirn depressiver Menschen von dem Nichtdepressiver unterscheidet. Ausgehend von den Unterschieden unter anderem in Konzentration und Absorption von Botenstoffen im Gehirn bewirken die Mittel grob gesagt, dass die Hirnchemie und -funktionsweise der depressiven Personen durch die Medikamente der eines nicht depressiven Menschen angeglichen werden.

Damit ist natürlich keinesfalls eine ursächliche Wirkung gemeint. Denn jeder Gemütszustand und alles, was wir erleben, schlägt sich in unserem Gehirn nieder, das ja alle unsere Umweltreize verarbeitet. Insofern wird jeder Schicksalsschlag eine Veränderung unserer Hirnchemie zur Folge haben, und es wird natürlich das dramatische Lebensereignis sein, das den Stimmungsumschwung ursächlich bewirkt, nicht die Botenstoffkonzentration im Gehirn, die sich als Folge des Geschehens dann verändern wird. Die Veränderung der Botenstoffe ist lediglich eine Reaktion des Gehirns auf das Erlebte und dessen innere Verarbeitung und bewirkt dann wiederum den Stimmungsumschwung.

Wirkstoffgruppen

Es gibt mehrere Wirkstoffgruppen von antidepressiven Medikamenten , die über die verschiedenen Botenstoffe des Gehirns wirken. Es gibt Empfehlungen, welche Mittel bei unterschiedlichen Beschwerdebildern am besten wirken oder am verträglichsten sind. Am bekanntesten sind die tri- und tetrazyklischen Antidepressiva, Selektive Wiederaufnahme-Hemmer und die MAO-Hemmer. Ihr Arzt wird voraussichtlich auch in seine Überlegungen einbeziehen, ob das Mittel etwas mehr Ruhe in Ihren inneren Aufgeregtheitszustand bringen soll (dämpfende oder sedierende Wirkung). Oder ob mit etwas mehr Schwung der Antriebslosigkeit gegengesteuert werden sollte (aktivierende Wirkung).

Bei depressiven Menschen lässt sich in der Regel ein Mangel an den Botenstoffen Serotonin und Noradrenalin feststellen. Diese Botenstoffe bzw. Transmitter wirken an bestimmten Bindungsstellen bzw. Rezeptoren unserer Nervenzellen und werden teilweise von unseren Gehirnzellen aufgenommen (absorbiert). Trizyklische Antidepressiva hemmen die Aufnahme der Neurotransmitter Serotonin und/oder Noradrenalin in die Gehirnzellen, so dass diese beiden Botenstoffe dem Gehirn in einem größeren Ausmaß für die Weiterleitung zwischen den Nervenzellen zur Verfügung stehen. Dieser Effekt hat einen abschwächenden Einfluss auf die depressiven Symptome. Zusätzlich können die Medikamente Anzahl und Empfindlichkeit der Rezeptoren günstig beeinflussen.

Trizyklische Antidepressiva

Trizyklische Antidepressiva, benannt nach ihrer chemischen Strukur mit drei Ringen, waren die ersten antidepressiven Medikamente, die auf den Markt kamen. Unter ihnen gibt es Mittel, die Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer oder Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer sind, außerdem Mittel, die die Aufnahme beider Transmitter hemmen, oder deren Wirkungsmechanismen noch nicht geklärt sind. Aufgrund ihrer Nebenwirkungen wie z.B. Mundtrockenheit sind die Trizyklika heutzutage nur bei wenigen Symptombildern wie z.B. der Fibromyalgie die Mittel der ersten Wahl. Bekannte Markennamen bei den trizyklischen Antidepressiva sind Amitriptilin, Opipramol, Trimipramin, Doxepin und Imipramin. Tetrazyklische Antidepressiva, benannt nach ihren vier Ringen in der chemischen Formel, rufen einige der unangenehmen Nebenwirkungen nicht hervor, bekannt ist besonders Mirtazepin.

SSRI

Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) blockieren die Rezeptoren, die für die Wiederaufnahme von Serotonin zuständig sind, und sind insgesamt nebenwirkungsärmer, weil sie nicht in weitere Übertragungssysteme hineinwirken. Die SSRI sind zur Zeit die am häufigsten eingesetzten antidepressiv wirkenden Medikamente. Mehrere Präparate dieser Wirkstoffklasse wie beispielsweise Zoloft stehen unter Verdacht insbesondere zu Beginn der Einnahme die Suizidgefahr und die Gefahr von gewalttätigen Übergriffen auf andere zu erhöhen. Auch kann es nach Beendigung der Einnahme zu massiven Problemen in Form eines Absetzsyndroms kommen. Bekannte Markennamen bei den selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern sind Fluoxetin, Paroxetin, Citalopram und Sertralin.

Für ganz Interessierte hier noch ein kleiner Abschnitt über weitere Präparate . Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer sorgen dafür, dass das Noradrenalin länger an seinem Wirkort bleiben kann. Bekannte Medikamente: Reboxetin, Viloxazin. Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer haben insbesondere bei schwer depressiven Zuständen eine Bedeutung. Bekanntes Medikament: Venlafaxin. Eine Reihe von weiteren Antidepressiva verfolgt weitere Wege, die hier nicht erläutert werden sollen, z.B. Nefazodon. MAO-Hemmer wirken, indem sie das Enzym Monoaminooxidase (MAO) daran hindern, die Botenstoffe abzubauen. Da diese Wirkstoffklasse mit gravierenden Nebenwirkungen behaftet ist, werden sie nur noch selten verordnet.

Eine weiterer zu bedenkender Effekt einiger Antidepressiva, wie z.B. Imipramin oder Chlorpromazin, ist die mögliche Einschränkung der Fahrtüchtigkeit durch ein verringertes Reaktionsvermögen, eine dämpfende Wirkung sowie Wahrnehmungsstörungen.

Pflanzliche Antidepressiva

Johanniskraut ist sicherlich das bekannteste pflanzliche Antidepressivum. Es wird bei leichten und mittelschweren depressiven Episoden eingesetzt. Studien über den Wirkungserfolg lieferten längere Zeit uneinheitliche Ergebnisse. Inzwischen ist die positive Wirkung wissenschaftlich belegt.

Johanniskrautpräparate sind teilweise frei verkäuflich und nicht unbedingt apothekenpflichtig also in der Drogerie erhältlich. Fest steht, dass die Nebenwirkungen vergleichsweise gering sind. Deshalb werden die Behandlungen seltener abgebrochen. Nicht ganz außer acht lassen sollte man, dass Johanniskraut bei intensiver Sonneneinstrahlung eine Fleckenbildung auf der Haut begünstigen kann. Und dass die Wirksamkeit bestimmter anderer Medikamente (u. a. Minipille oder Marcumar) herabgesetzt werden kann, was bei der Einnahme z. B. von Medikamenten, die eine Abstoßung nach einer Organtransplantation verhindern sollen, dramatische Folgen nach sich ziehen kann. Bekanntes zugelassenes Präparat: Laif ® 900.

Riskante Alternativen

Das pflanzliche Mittel Kawa-Kawa (deutsch: Rauschpfeffer), dessen Einführung vor einigen Jahren sehr positiv aufgenommen wurde und über ausländische Firmen immer noch bestellbar ist, ist inzwischen vom deutschen Markt genommen worden wegen seiner leberschädigenden Wirkung mit der Folge mehrerer Todesfälle.

Letztendlich machen diese Ausführungen deutlich, dass das sehr ausgeprägte Leid und die Risiken, die mit depressiven und anderen seelischen Erkrankungen einhergehen, den Wirkweisen und Nebenwirkungen dieser Medikamente gegenüberstehen, und dass deshalb gut abgewogen werden muss, welche Behandlungsstrategien sinnvoll erscheinen.

Weiteres

Es gibt inzwischen auch einige gegen depressive Symptome eingesetzte Medikamente, die im eigentlichen Sinne keine Antidepressiva sind. Diese kommen in der Regel dann zum Einsatz, wenn die antidepressive Medikation nicht ausreichend hilft.

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