Diagnosen
Weitere Persönlichkeitsstörungen
Allgemeines zu Persönlichkeitsstörungen
In den modernen, demokratischen Gesellschaften gilt die Möglichkeit zur uneingeschränkten Entfaltung der individuellen Persönlichkeit als Grundrecht, damit auch zu unterschiedlichen stärkeren oder auch krankheitswertigen Ausprägungen, den Persönlichkeitsstörungen. Nur wenige Menschen, die einen eigenwilligen Persönlichkeitsstil pflegen, sind krank. Die meisten führen ein völlig normales Leben. Viele davon sind sogar besonders kreativ, leistungsfähig und erfolgreich. Nicht zuletzt in den Künsten trifft man auf eine Vielzahl außergewöhnlicher Persönlichkeiten.
Welches Verhalten, welche Persönlichkeitseigenschaften als Norm gelten, ist darüber hinaus kulturabhängig. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung setzt voraus, dass der Patient entweder selbst unter der Ausprägung seiner Persönlichkeitsmerkmale leidet oder die Betroffenen aufgrund ihrer Eigenart mit Recht und Gesetz in Konflikt geraten. Auch wenn die Gefahr besteht, dass sich aus den persönlichen Eigenarten heraus psychische Störungen entwickeln, ist gerechtfertigt, von einer Persönlichkeitsstörung zu sprechen.
Geschichte
Noch bis etwa 1980 wurden Wahrnehmungsweisen und Verhaltensmuster, die von den gesellschaftlichen und kulturellen Erwartungen so weit abwichen, dass das Zusammenleben mit anderen Menschen dadurch erschwert wurde, stigmatisiert. Der daraufhin eingeführte Begriff Persönlichkeitsstörungen sollte weniger abwertend klingen. Von den Betroffenen selbst werden Persönlichkeitsstörungen (im Unterschied zu Erkrankungen wie Depressionen) meist nicht als Störung, sondern oft einfach als Teil der Persönlichkeit empfunden. Ihr Leid entwickelt sich erst aus der Interaktion der Persönlichkeit mit den Erwartungen ihrer Umwelt.
Symptome einer Persönlichkeitsstörung
Nach wie vor sind durch das soziokulturelle Umfeld Normen des Verhaltens, der Beziehungsgestaltung und der Impulskontrolle festgelegt. Eines der ersten Kriterien für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung ist, dass inneres Erleben und Verhalten dauerhaft von dieser Norm abweichen. Weiterhin zeigt sich dieses abweichende Muster bei einer Persönlichkeitsstörung langfristig, unflexibel und tiefgreifend in vielen persönlichen und sozialen Situationen. Das abweichende Erleben und Verhalten tritt nicht etwa als Folge einer vorübergehende Krankheit, des Konsums von Drogen oder einer Verletzung auf. Denken, Bedürfnisbefriedigung,
Beziehungsgestaltung und Gefühlsleben des Patienten sind dauerhaft davon betroffen. Im Beruf und im Privatleben treten immer wieder ähnliche Konflikte auf, die aus den unflexiblen und inadäquaten Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen des Patienten resultieren. Dabei ist der Betroffene nicht im Stande, sein Handeln den Erfordernissen entsprechend zu verändern. Dadurch entstehen die auch subjektiv wahrgenommenen Probleme. Eine Persönlichkeitsstörung entwickelt sich früh, im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter. Sie ist von einer Persönlichkeitsveränderung abzugrenzen, die in höherem Alter als Reaktion auf extreme Erfahrungen auftreten kann.
Typologie der Persönlichkeitsstörungen
Das Erscheinungsbild von Persönlichkeitsstörungen ist sehr vielfältig.Die medizinischen Klassifikationssysteme nehmen zur Typologisierung jeweils ein herausstechendes Merkmal im Erleben und Verhalten der Patienten zu Hilfe, das sie zur Bezeichnung der jeweiligen Störung heranziehen. So lassen sich je nach Klassifikationsystem 10 (ICD-10) oder 11 (DSM-IV) unterschiedliche „Störungen“ benennen. Da diese Klassifikation den individuellen Fallgeschichten nur annähernd gerecht werden kann, gibt es darüber hinaus die Konzepte der kombinierten sowie der sonstigen, nicht weiter spezifizierten Persönlichkeitsstörungen. Die klassifizierten Störungen fasst die Medizin in drei große Gruppen, sogenannte Cluster, zusammen.
Paranoide und schizoide Persönlichkeitsstörung
Eine Gruppe umfasst die paranoide und schizoide Persönlichkeitsstörung . Das Gemeinsame der Menschen, die unter einer dieser Störungen leiden, besteht in einer Neigung zur Exzentrik und einem gering ausgeprägten Bedürfnis nach sozialen Beziehungen. Die Betroffenen gelten als Eigenbrötler und Sonderlinge. Dabei stehen bei der paranoiden Persönlichkeitsstörung Misstrauen und Streitsucht gegenüber den Mitmenschen im Vordergrund. Schizoide Patienten neigen hingegen dazu, sich in ihrer eigenen Gedankenwelt einzurichten und von anderen zurückzuziehen. Sie haben oft viel Phantasie, sind aber nicht gut darin, Gefühle zu kommunizieren oder Freude auszudrücken.
Sogenannte dramatische Persönlichkeitsstörungen
In der zweiten Gruppe werden die sogenannten dramatischen Störungen zusammengefasst. Neben der Borderline-Störung (emotional-instabile Persönlichkeit) und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind dies die histrionische und die dissoziale Persönlichkeitsstörung. Hervorstechende Merkmale dieser Gruppe sind emotionale Instabilität und Launenhaftigkeit.
Charakteristisch für die histrionische Persönlichkeitsstörung, die früher als hysterische Persönlichkeit bezeichnet wurde, ist der Wunsch, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Dies geht mit theatralischen Verhaltensweisen, übertriebenem Interesse an körperlicher Attraktivität und leichter Kränkbarkeit einher.
Menschen, die unter einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leiden, geraten vor allem durch Missachtung von Normen und Regeln in Konflikte mit ihrem Umfeld. Dabei wird ihr Verhalten nicht von Schuldbewusstsein begleitet. Infolgedessen findet man in Gefängnissen vergleichsweise viele Insassen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung.
Persönlichkeitsstörungen mit ängstlich-vermeidenden Verhaltensweisen
Die dritte Gruppe umfasst Störungen, die durch ängstlich-vermeidende Verhaltensweisen gekennzeichnet sind. Hierunter fallen die abhängige (dependente), zwanghafte (anankastische), passiv-aggressive und ängstliche Persönlichkeitsstörung.
Anakastische PS
Anankastische Patienten sind übertrieben gewissenhaft und pedantisch; im zwischenmenschlichen Kontakt wirken sie kühl. Sie halten so sehr an Regeln fest, dass sie nicht mehr in der Lage sind, situationsadäquat zu urteilen und zu handeln. Sie sind sehr leistungsorientiert, doch schränkt die Auseinandersetzung mit Details und Regeln manchmal die tatsächliche Produktivität ein.
Ängstliche PS
Personen mit einer ängstlichen Persönlichkeitsstörung befinden sich in einem Zustand dauernder Angespanntheit und Besorgnis. Sie fühlen sich minderwertig, glauben den Anforderungen nicht gerecht zu werden und meiden daher viele soziale Situationen. Die Lebensqualität wird durch eine ängstliche Persönlichkeitsstörung enorm beeinträchtigt.
Dependente PS
Die abhängige oder dependente Persönlichkeitsstörung geht mit der Unfähigkeit einher, Entscheidungen im Hinblick auf das eigene Leben zu treffen. Stattdessen wird an die Hilfe anderer appelliert. Das Gefühl, von bestimmten anderen Personen abhängig zu sein, führt zu der Angst verlassen zu werden und zu unangemessener Nachgiebigkeit gegenüber den entsprechenden Personen.
Passiv-aggressive PS
Patienten mit passiv-aggressiver Persönlichkeitsstörung verweigern sich den Anforderungen und Ansprüchen anderer Menschen, insbesondere im beruflichen Bereich, durch passiven Widerstand.
Ursachen von Persönlichkeitsstörungen
Die Ursachen für das Entstehen von Persönlichkeitsstörungen liegen im Zusammenwirken von erblich bedingten Voraussetzungen und Lebenserfahrung. Oft sind sie eine Folge ungelöster Konflikte in der Kindheit oder traumatischer Erfahrungen, wie Gewalt, Missbrauch oder des funktionalen Wegfalls eines Elternteils (z.B. durch Sucht, psychische Krankheiten etc.).
Statistisch gesehen sind Persönlichkeitsstörungen erstaunlich häufig. Etwa 11 % der deutschen Bevölkerung leiden darunter. Dabei sind bestimmte Störungen, etwa die Borderline-Störung oder die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung häufiger bei Frauen anzutreffen, andere, wie die narzisstische Persönlichkeitsstörung, gelten als typisch männlich. Aus der Grunderkrankung resultieren bei vielen Betroffenen weitere psychische Probleme, häufig sind dies Suchtverhalten oder Depressionen.
Therapiemöglichkeiten
Die psychotherapeutische Behandlung von Persönlichkeitsstörungen nimmt in der Regel relativ viel Zeit in Anspruch, bevor sich Erfolge zeigen. Allerdings kann die Intervention gerade bei akuten Lebenskrisen sehr hilfreich sein. Die unterschiedlichen Störungsformen sprechen verschieden auf therapeutische Vorgehensweisen an. Während etwa Patienten mit ängstlicher Persönlichkeitsstörung meist sehr von der Therapie profitieren, gilt die dissoziale Persönlichkeitsstörung in der Therapie als schwer zugänglich. Sowohl tiefenpsychologische als auch verhaltenstherapeutische Ansätze sind sinnvoll. Darüber hinaus wurden für spezifische Problembereiche der Persönlichkeit Verfahren entwickelt, die schulenübergreifend angewandt werden können. Ausgangspunkt einer Therapie können die konkreten Interaktionsstörungen des jeweiligen Patienten sein. Zunächst im Rahmen der psychotherapeutischen Begegnung kann der Patient dann neue Selbsterfahrungs- und Verhaltensmöglichkeiten entwickeln.